Grundgedanken

Was ist traditionelles Bogenschießen?


Tradition bedeutet das Überlieferte, also das, was unsere Vorfahren an uns weitergegeben haben und was wir von ihnen übernommen haben. An Traditionen ist nichts Rückschrittliches, sondern es wird das Altbewährte gepflegt. Bei Bedarf kann dieses Altbewährte auch verbessert werden, aber nicht um jeden Preis. Heute wird allzu oft das Neue um seiner selbst willen gefeiert, dabei ist das Neue nicht immer besser als das Alte. Gerade bei einem der ältesten Geräte, die der Mensch erfunden hat, ist das deutlich zu sehen. Man muß dazu aber das Ganze im Auge behalten und nicht nur einzelne Aspekte. Wer nur die Treffer-Genauigkeit betrachtet, wird sich vermutlich für einen Compoundbogen entscheiden. Wer aber auch den Weg als Ziel sieht, also wer auch die Vorteile und die Freude an der beständigen Übung erkennt, wer auch die Handwerkskunst achtet und die Möglichkeit, sein Gerät selbst herzustellen, der wird vermutlich eher zu einem Bogen greifen, wie er schon seit Urzeiten bei uns im Gebrauch ist.

Beim Traditionellen Bogenschießen steht also weniger die Optimierung der Trefferquote durch technische Verbesserungen des Materials im Vordergrund, als vielmehr das Zusammenspiel zwischen Mensch und Natur mit einem uralten Jagdgerät.

Der Bogen hat den Menschen schon seit fast 20.000 Jahren große Dienste geleistet. Dass die Menschen schon in der Steinzeit mit Pfeil und Bogen jagten, ist hinreichend belegt durch Funde von steinernen Pfeilspitzen und einem im Moor erhaltenen Bogen, aber auch durch Höhlenmalereien. Ötzi, der Gletschermann, trug einen (unfertigen) Bogen aus Eibenholz und Pfeile bei sich, als er vor etwa 5.300 Jahren in den Alpen starb.

Auch in den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Antike (z.B. in der Schlacht von Kadesch, 1.274 v.Chr.) und bis weit hinein ins Mittelalter (z.B. Crézy 1346 oder Azincourt 1415) war diese Waffe oft entscheidend für den Ausgang. Sie hat damit großen Einfluss auf den Gang der Geschichte genommen. Durch die deutlich schnellere mögliche Schußfolge war der Bogen auch noch zu Zeiten der Feuerwaffen teilweise ebenbürtig. Ein wesentlicher Nachteil des Bogens war dagegen die lange Ausbildungszeit für einen guten Bogenschützen. Mit Einführung der Repetiergewehre (Mitte der 1860-er Jahre) mit der deutlich schnelleren Schußfolge war die Zeit des Bogens als Kriegswaffe vorüber. Dies zeigte sich deutlich in der letzten großen Auseinandersetzung, bei der Bögen eine wichtige Rolle gespielt haben, nämlich in den Kämpfen zwischen den Indianern und den Siedlern in Nordamerika.

 

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 Ein Pfeil im mittelalterlichen Stil

 

Das traditionelle Bogenschießen macht die Jagd mit dem Bogen, die überlebensnotwendig für unsere Vorfahren war, auch noch für uns erlebbar. Daher wird dieser Sport in einem möglichst naturnahen Umfeld ausgeübt. Die Entfernung zum Ziel ist wie bei einer richtigen Jagdsituation nicht bekannt, sondern muß vom Schützen abgeschätzt werden. Ein anspruchsvolles Gelände mit Bergauf- und Bergab-Schüssen, oder über Senken hinweg, erschwert die Einschätzung der Entfernung zusätzlich. Auch Hindernisse in Form von Bäumen und Büschen bilden einen Teil der Herausforderung. Eine freie und ebene Schußbahn ist eher die Ausnahme. Traditionelles Bogenschießen wird meist auf 3D-Parcours ausgeübt, dabei werden Jagdsituationen möglichst lebensnah nachgestellt, als Ziele werden Tierattrappen verwendet.

 

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Ein junger Schütze auf dem Parcours

 

Der Bogen und die Pfeile sind weitgehend aus natürlichen Materialien hergestellt. Die Freude am uralten Werkstoff Holz und an der überlieferten Handwerkskunst spielt eine wichtige Rolle, aber auch das Bewusstsein, dass unsere Vorfahren sowohl im Mittelalter als auch in grauer Vorzeit mit diesen einfachen Mitteln die Herausforderungen des Überlebenskampfes. gemeistert haben. Dass sich hierbei ein gewisser Respekt vor unseren Ahnen entwickelt, ist ein selbstverständlicher Nebeneffekt. Gerade in unserer Zeit, die sehr stark von der Technik bestimmt wird, ist es eine angenehme Erfahrung, dass man auch mit einfachen Mitteln, wenn sie richtig eingesetzt werden, sehr gute Ergebnisse erzielen kann.

 

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Foto „Turnier (95)“
Eine Auswahl an Bögen, Köchern und Pfeilen, bei einem Turnier in Ried

Beim traditionellen Bogenschießen ist die Intuition entscheidend für das Zielen. Diese Intuition bildet sich aus Erfahrungen von Schießübungen, die im Unterbewusstsein abgespeichert wurden. Es werden beim Zielen nicht rationale Überlegungen und Einschätzungen angestellt, sondern das unbewußte Gefühl des Schützen lenkt den Pfeil ins Ziel. Man spricht hier auch vom Bauchgefühl des Schützen und vom instinktiven Zielen. Es sei hier auch erinnert an die fernöstlichen Zen-Bogenschützen, die diesen Vorgang als Meditationsübung nutzen.

Das Ziel wird nicht anvisiert, sondern es werden die Gedanken auf das Ziel fokussiert. Dies ist vergleichbar mit der Bewegung, die jemand macht, wenn er mit einem Finger oder mit einem Stab auf einen bestimmten Punkt deutet. Es ist dabei gar nicht nötig, den Finger oder den Stab anzusehen.

Die Umgebung wird dabei nicht völlig ausgeblendet, sondern sie wird in den Zielvorgang einbezogen, auch um das Abschätzen der Entfernung zu verbessern. Aus diesem Grund auch bleiben beim Zielen beide Augen geöffnet.

Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass Bogenschießen im Allgemeinen eine sehr gute Möglichkeit ist, speziell Rückenschmerzen vorzubeugen oder sogar zu bekämpfen. Durch das Ausziehen der Sehne gegen den Widerstand der Wurfarme wird die Rückenmuskulatur jedenfalls im oberen Rückenbereich wirksam gestärkt, wodurch die Wirbelsäule entlastet wird. Gerade beim 3D-Schießen kommt noch hinzu, dass ein anspruchsvoller Parcours durchaus einige Kilometer durch schwieriges Gelände führt.

Das traditionelle Bogenschießen ist also unserer Gesundheit förderlich, es bietet einen angenehmen Ausgleich gegen die Technik-Überfrachtung, es lässt uns die Natur auf eine Art und Weise erleben wie kaum ein anderer Sport, aber es erinnert uns auch an unsere Wurzeln in der Vergangenheit. Und es lässt auch unsere so oft unterdrückte Gefühlswelt ans Tageslicht, sei es beim intuitiven Zielen oder auch in der geselligen Runde der Schützen nach dem Turnier.